Venedigs verborgenes Juwel
Die Evangelisch-lutherische Gemeinde Venedig ist die älteste lutherische Gemeinde Italiens und überhaupt eine der ältesten außerhalb Deutschlands. Schon vor der ersten Veröffentlichungen Martin Luthers findet reformatorisches Gedankengut Interesse in der Lagunenstadt. Der gebürtige Venezianer und spätere Kardinal Gasparo Contarini (1483-1542) gewinnt bereits 1511 bei der Osterbeichte die Einsicht, dass der Mensch nicht durch seine Werke, sondern allein durch den Glauben gerettet wird. Etwa zur selben Zeit lesen junge Patrizier in einem Muraner Freundeskreis (Cenacolo di Murano) gemeinsam das Neue Testament im Original. Zwei von ihnen übermitteln dem Papst später einschneidende Vorschläge zur Kirchenreform.
Die Chiesa Luterana di Venezia, eine evangelisch-lutherische Kirche, liegt im belebten Sestiere Cannaregio am Campo Santi Apostoli. Das Kirchengebäude gleicht einem schlichten Palazzo mit einem rosa Anstrich. Das Eingangsportal im Erdgeschoss zeugt von einer klassischen Architektur, umgeben von zwei Pilastern. Zwei vergitterte Fenster flankieren das Portal. Im ersten Stockwerk ragen zwei Fenster hervor und dazwischen thront der „Steinerne Schutzengel“, eine Kunstwerkarbeit des Bildhauers Enrico Merengo.
Die Chiesa Luterana di Venezia hat ihre Wurzeln in der Reformationszeit, jedoch wandelte sie sich aufgrund des Drucks der Inquisition von einer italienischen reformatorischen Bewegung zu einer abgeschotteten Vereinigung oberdeutscher Fernkaufleute. Venedig war ein bedeutendes Zentrum des Buchdrucks und so wurden die Schriften Martin Luthers bereits früh in der Lagunenstadt bekannt. Im Jahr 1520 wurden sie hier erstmals beschlagnahmt und 1548 wurden in der Druckerei Antonio Bruciolis zahlreiche Bücher konfisziert und später öffentlich auf dem Rialtoplatz verbrannt. Aus den Aufzeichnungen der Inquisition sind auch Leser bekannt, wie zum Beispiel die adelige Venezianerin Foscarina Venier (eine Dichterin) und ihr Sohn Francesco, die die Schriften von Martin Luther gelesen hatten und nun um Absolution bitten mussten.
Die Chiesa Luterana di Venezia wurde schließlich im Jahr 1861 von deutschen und skandinavischen Protestanten gegründet, die in Venedig lebten. Die Kirche diente als Treffpunkt für diese Gemeinschaften und bot ihnen einen Ort zum Beten und Feiern ihrer Gottesdienste. Im Laufe der Jahre hat sich die Kirche zu einem wichtigen kulturellen Zentrum entwickelt, das nicht nur für Gläubige, sondern auch für Touristen interessant ist. Der Innenraum der Chiesa Luterana di Venezia ist schlicht gehalten, aber dennoch beeindruckend. Der Altar aus Marmor stammt aus dem 17. Jahrhundert und zeigt eine Szene des letzten Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern. An den Wänden hängen Gemälde deutscher Künstler wie Johann Carl Loth oder Johann Heinrich Roos sowie Skulpturen von Enrico Merengo. Heute finden regelmäßig Konzerte in der Kirche statt, bei denen sowohl klassische Musik als auch zeitgenössische Stücke aufgeführt werden. Besonders beliebt sind die Aufführungen während des jährlichen „Festival della Musica Sacra“, das jedes Frühjahr stattfindet. Die Chiesa Luterana di Venezia bleibt somit ein wichtiger Teil der Geschichte Venedigs sowie ein Ort des Gebets, aber auch ein Ort, um Kunst- und Musikliebhaber gleichermaßen anzusprechen – eine wahre Perle unter den vielen historischen Bauten dieser Stadt!
Cannaregio, Campo SS. Apostoli 4448 – C.P. 53, 30124 Venezia
Gottesdienste: jeden zweiten und vierten Sonntag des Monats um 17.00 Uhr
(siehe den Gemeindebrief)