Venedig – Libreria Acqua Alta – Die Königin der Katzen des berühmten Buchladens ist aus dem Leben geschieden.
Erinnerungen von Ute Mathews-Werk
Als ich vor vielen Jahren die Libreria Acqua Alta betrat, begrüßte mich eine junge, getigerte Katze, die neben Luigi an der Kasse saß. Passend zum Fell ihr Name: Tigre.
Tigre war keine Kuschelkatze, sondern eher die Aufpasserin in der Buchhandlung. Es war ihr Zuhause, denn in die Wohnung im gegenüberliegenden Palast durften die Katzen nicht. Sie lebten Tag und Nacht in der Libreria Acqua Alta. Durch ein halb geöffnetes Fenster konnten Tigre und Domique nach draußen gelangen und nach dem nächtlichen Ausflug auch wieder zurück in die Buchhandlung.
Gelegentlich lag eine tote Maus oder Ratte im Eingangsbereich, wenn der Chef, Luigi Frizzo, zum Geschäftsbeginn die Tür öffnete. Liebesbeweise!
Einige Jahre später zog Luigi in die Wohnung über dem Laden und nun durften auch die Katzen mit ins Haus. Vor dem Geschäft steht ein Feigenbaum, der den Katzen als Leiter nach oben auf den Balkon dient. In der Balkontür befindet sich eine Katzenklappe, sodass die mittlerweile fünf Katzen nach Belieben
raus- und reinspazieren konnten.
Tigre war die heimliche Chefin in der Buchhandlung und auch oben in der Wohnung. Kaum wich sie Luigi von der Seite.
Ihr Stammplatz am Tage war an der Kasse, nach Feierabend belegte sie gerne einen der Stühle in der Küche.
Gerne nahm sie Leckerbissen an, die ihr ständig geboten wurden. Einige Stammkunden brachten extra Katzensticks, usw. aus ihren Heimatländern mit.
Luigi bedankte sich immer sehr höflich, teilte die Leckereien aber zwischen allen seinen Katzen auf.
Ich denke, man kann sagen, Tigre war ein Star. Keine Katze in Venedig wurde mehr fotografiert, gestreichelt und verwöhnt. Sie dankte es mit einem ausgesprochen freundlichen, aber auch zurückhaltendem Wesen.
Wenn es ihr zu viel wurde, verließ sie ihren Platz an der Kasse und stieg in höher gelegene Regale oder ging eine Runde spazieren. Geduldig ließ sie sich von Hunderten von Kunden täglich streicheln und fotografieren.
Im heißen Sommer lag sie gerne unter dem Tisch im Schatten vor dem Geschäft. Seelenruhig beobachtet sie von dort das Geschehen und machte ungestört ein Nickerchen.
Wie Tigre den Wechsel der Geschäftsleitung verkraftet hat, weiß man nicht. Luigi saß nicht mehr an der Kasse, verbrachte seine Tage oben in der Wohnung. Tigre ging in Teilzeitarbeit. Gelegentlich nahm sie ihren alten Platz an der Kasse ein, aber nicht mehr so oft.
Langsam alterte Tigre. Zuerst fast unmerklich. Tigre wurde dünner, nahm seltener Leckerbissen an und machte weniger Ausflüge.
Am Wochenende ist Tigre gestorben. Fast zwanzig Jahre war sie das Maskottchen der Libreria Acqua Alta und eine treue Gefährtin für Luigi.
Ciao, Tigre, komm‘ gut über den Regenbogen!