Zum ersten Mal gesichtet im Juni 1996, jetzt wieder aufgetaucht
Hallo Alex,
wir kennen uns ja schon ein paar Jahre und ich war 2019 als Fotograf dabei, als du deine Gondel von der der Werft auf dem Lido zurückgeholt hast (vom Cantiere Serenissima Nautica) und habe es fotografisch dokumentiert, als Pegasus in die Werft Tramontin gebracht wurde, wo er für immer stehen sollte.
Natürlich weiß ich, dass du am 11.06.1996 zum ersten Mal auf einer Gondel standest und deinen ersten Tag als aspirante Gondoliere (Gondoliereschüler) hattest.
Schön, dass du dir die Zeit genommen hast, mir einige Fragen zu beantworten.
Andreas Werk: Wie würdest du den Moment beschreiben, als deine Gondel 2019 von der Polizei konfisziert wurde und dir in dem Moment deine Existenz genommen wurde?
Alex Hai: Eigentlich ganz lustig. Ich habe mich zurückversetzt gefühlt ins Jahr 2005, als ich mich als Gondoliere selbstständig gemacht habe und mich die Polizei auf jeder Tour gestoppt hat, um sicherzustellen, dass ich dazu befugt bin und dann mich haben weiterfahren lassen Also hatte ich keine große Sorge!
Ich dachte, die sind neu und wissen nicht, was sie tun.
Ich hatte ja in 2007 in Venedig vor Gericht gewonnen und dadurch, dass der Gerichtsbeschluss angefochten wurde, noch einmal 2015 vor dem Hohen Gericht, la Corte Suprema, in Rom gewonnen.
Deswegen war ich ganz entspannt.
Überrascht war ich dann und mir wurde sehr flau, als meine Website als illegal erklärt wurde.
Damals war es noch nicht Mode- wie jetzt- online Dienstleistungen anzubieten.
Das war die Lücke, eine Grauzone, die die Kläger gefunden hatte, nachdem sie den Prozess in Rom verloren hatten.
Andreas Werk: Was hast du gemacht, als du realisiert hast, dass es aus ist?
Alex Hai: Ich habe meine Sachen gepackt und bin gegangen.
Andreas Werk: Was hast du in der Zeit gemacht, in der du deinen Beruf nicht mehr ausüben durftest?
Alex Hai: Keine Ahnung was ihr gemacht habt, aber dann kam ja Covid.
Ich habe den Anker auf’s Sofa geworfen und unzählige Filme gesehen, und kurz ehrenamtlich für das Rote Kreuz als Fahrer gearbeitet.
2020 war eigentlich ein sehr gutes Jahr. Ich habe den Venedig-Teil vom interaktiven Programm „When we stayed home “ ( Als wir zu Hause waren) geschrieben.
Link: https://fb.watch/eb9X5UA_hv/
Das ganze Programm hat eine Emmy- Nominierung bekommen.
Außerdem habe ich ein paar Gedichte geschrieben, zweisprachig, die in Deutschland und Canada veröffentlicht wurden.
Und ich habe einen Dokumentar-Kurzfilm in Post Produktion hergestellt mit alten Film Schnipseln von mir und über mich zusammen mit Anarfilm Production, der neun Minuten lang ist und mittlerweile 14 Preise weltweit gewonnen hat. „Veni Etiam“ ( ich komme wieder) Der angebliche Schrei der ersten Flüchtlinge und Lagunenbewohner (Quelle: Marino Sanudo der Jüngere, venezianischer Historiker 1466 – 1536)
https://de.wikipedia.org/wiki/Marino_Sanudo
„Veni Etiam“ ist ein bewegend poetischer Transgender-Dokumentarfilm. Gezeigt wird die Geschichte einer Gondel und ihres Gondoliere, die durch die Kanäle von Venedig rudern. Die Fahrt des Gondoliere ist eine metaphorische Passage.
Alles in allem war es ein positives Jahr ohne Bezahlung.
Andreas Werk: Wie hältst du dich über Wasser?
Alex Hai: Ich habe bis jetzt von meinen Ersparnissen gelebt, die nun leider fast aufgebraucht sind.
In den letzten zweieinhalb Jahren hatte ich keinen festen Wohnsitz und zum Glück gute Freunde, die mich hier und da in der ganzen Welt beherbergt haben. Vor allem aber meine allerbeste Freundin.
Andreas Werk: War der Name deiner Gondel schon immer Pegasus?
Alex Hai: Ja, seit sie in meinem Besitz war, eine kleine Ermahnung, dass die Gondel wichtiger ist als der Gondoliere.
https://de.wikipedia.org/wiki/Pegasos_(Mythologie)
Eines Tages, im Jahre 1999 sagte Franco Crea: „Ich möchte dich rudern sehen!“ Er baut seit Jahrzehnten original venezianische Gondeln und war zu der Zeit einer von drei Großmeistern des Gondelbaus. Vor 100 Jahren gab es noch 50 Venezianer, die dieses Kunsthandwerk beherrschten. Außerdem war er in seinen jungen Jahren selbst Gondolier und Rei del remo (König des Ruders) mit sieben aufeinanderfolgende Siege in der Regata Storica. „Ich möchte dich rudern sehen, man erzählt ja so einiges über dich!“ Da habe ich mich nicht gedrückt. Wir haben dann viele schöne Abende auf dem Wasser verbracht wo er mir den letzten Schliff gegeben hat. Ich bin sehr stolz darauf, vom Besten gelehrt worden zu sein, eine große Ehre.
Pegasus war damals schon über 40 Jahre alt,Franco hatte ihn von einem Gondoliere abgekauft der das Boot verschrotten wollte, es war aber von Nardo Gastone gebaut, seinem Meister und eine schon moderne Gondel im alten Stil. Franco hat es dann in seiner Freizeit studiert und komplett überholt. Dabei hat er Lieder gesungen. Ich hatte ihn damals oft in der Werft besucht, ohne zu wissen, dass Pegasus einmal meine Gondel werden würde.
Andreas Werk: Warst du in der Zeit, nachdem Pegasus konfisziert wurde, depressiv?
Alex Hai: Ich habe ganz am Anfang eine Therapeutin gefragt, wie man Depressionen vermeiden kann.
Sie sagte: Nach dem, was da geschehen ist, ist eine Depression unvermeidbar. Aber sie hat mir Tipps gegeben, um dies so leicht wie möglich zu machen. Z.B. „Immer in Bewegung bleiben“.
Die letzten Jahre waren für mich eine mentale Hölle.
“Immer schön in Bewegung bleiben, nicht ernst nehmen, was im Kopf passiert und sehr lieb zu sich selber sein”
Andreas Werk: Wann und wie hast du es geschafft, wieder der alte Kämpfer zu werden?
Alex Hai: Ich bin noch dabei. Es ist sehr harte Arbeit.
Andreas Werk: Du hast damals, nach dem 26.November 2019, einen Rechtsanwalt eingeschaltet, um deine Gondel aus der städtischen Werft auf dem Lido herauszuholen und in der Werft Tramontin in Venedig unterzustellen. Warum?
Alex Hai: Ich habe im Jahre 2000 als Tankwart in Santa Marta gearbeitet und dort gesehen, was mit konfiszierten Booten passiert, die dort untergebracht waren. Sie waren alle übereinander geworfen und theoretisch hätte man nachts dort auch einfach Boote mitnehmen können. Es hätte keiner gemerkt. Ich dachte, es wäre am Lido genauso und wollte nicht, dass das mit Pegasus passiert, weil er so ein Schicksal nicht verdient hatte. Die Gondel konnte ja nichts dafür, was da passiert ist!
So konnte ich mit Hilfe des Rechtsanwalts erreichen, dass Pegasus in die Werft Tramontin kam, die von zwei Schwestern betrieben wurde. Die Stadt hat an diesem Punkt mitgemacht.
Die Schwestern hatten den Betrieb von ihrem Vater geerbt, der sehr überraschend und plötzlich verstorben war. Beide Töchter wussten viel über Gondeln, da sie damit aufgewachsen waren. Aber sie konnten keine Gondeln bauen, das haben sie nie gelernt.
Deswegen hatten sie die Idee, in der Werft ein Café mit Special Events usw. zu eröffnen, eine Art Museum, in dem Pegasus permanent ausgestellt werden sollte. Ich sagte, „das trifft sich doch gut!“
Deswegen habe ich darum gekämpft, Pegasus dorthin zu bekommen.
Aber dann kam Covid und die beiden Schwestern haben es nicht geschafft, ihre Idee mit dem Museumscafé umzusetzen und mussten eine andere Lösung finden.
Im Herbst 2021 kamen dann zwei Ex-Mitarbeiter, die bei Franco Crea gelernt hatten, um die Werkstatt zu pachten. Pegasus wurde nicht mehr als Museumsstück gebraucht, die neuen Gondelbauer brauchten Platz. Sie konnten sich nicht um ein Museumsstück herumarbeiten.
Die Schwestern haben dann alles in die Wege geleitet, um Pegasus wieder in die städtische Verwahrung zum Lido bringen zu lassen. Das war nicht einfach, denn die Gondel war nun schon 62 Jahre alt, lag seit über zwei Jahren nicht mehr im Wasser und konnte nicht einfach abgeschleppt werden. Pegasus hätte die Fahrt nicht überstanden.
Die Verantwortlichen der Polizei und die für den Transport Zuständigen, sowie die Mannschaft von der städtischen Werft Serenissima sind dann gekommen, um eine Möglichkeit zu finden, die Gondel zurück zum Lido zu bringen.
Es musste abgewartet werden, bis ganz extremes Niedrigwasser kommt, was im Februar 2022 der Fall war. Ein großes Transportboot kam zur Werft und Pegasus wurde mit einem Kran aufgeladen. Um unter den Brücken hindurch zu kommen, musste das Bugeisen (Ferro) abmontiert werden.
Von dieser ganzen Aktion habe ich nichts gewusst.
Niemand hat mich informiert, dass Pegasus sich nicht mehr in der Werft befindet und wo die Gondel hingebracht wurde.
Andreas Werk: Wann und wie hast du davon erfahren?
Alex Hai: Ich habe es über eine deutsche Kundin erfahren. Sie war ca. 20x mit Pegasus und mir gefahren und wollte die Gondel im Mai besuchen. Sie informierte mich darüber, dass Pegasus nicht mehr auf der Werft ist.
Nun begann die Suche mit unzähligen Telefonaten und Recherchen.
https://www.facebook.com/alexhaigondolatours
Am 21.06.2022 las ich die Nachrichten über den Tod von Cloe Bianco, einer Trans*Frau, Lehrerin aus dem Veneto. Sie hatte Selbstmord begangen, indem sie sich samt ihres Campers verbrannte. Der Grund war, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben durfte und tagtäglich diskriminiert und gehänselt wurde.
Prompt rief mich die lokale Presse aus Venedig an und bat um eine Stellungnahme.
Dann ging alles ganz schnell.
Am 23.06.2022 erschien ein einseitiger Artikel in der venezianischen lokalen Zeitung „La Nuova“.
Es war das allererste Mal, dass im Norden Italiens dem Thema „Transgender und Menschenrechte“ eine ganze Seite gewidmet wurde.
Damit kam meine Story, die unter den Teppich gekehrt wurde, auf einmal an die Oberfläche. Aber zum allerersten Mal gab es öffentliche Stellungnahmen von Venezianern, die bestätigt haben, zu wissen, dass die Gondel von den Gondolieri verbrannt werden sollte, die Diskriminierung, das jahrelange Mobbing.
Giovanni Andrea Martini, Mitglied des Stadtrates in Venedig, hat dann Kontakt zu mir aufgenommen und angeboten, einen Dialog zu eröffnen über Transgender-Rechte und Menschenrechte, oder wenigstens meine Genehmigung zu erhalten, den Kurz-Dokufilm „Veni Etiam“ über meine Geschichte öffentlich zeigen zu dürfen.
Dieses Angebot habe ich ohne Zögern angenommen, bin nach Venedig gekommen und am 29.06.2022 um 21.00 Uhr wurde der Film als Anhang im Festival Francesco Pasinetti gezeigt, mit einem kleinen Rede vorab.
Auch habe ich sofort vor Ort mit der Suche nach Pegasus begonnen.
Nach einer guten Woche habe ich herausbekommen, wo sich die Gondel jetzt befindet.
Andreas Werk: Wie geht es jetzt weiter?
Alex Hai: Komplizierte Frage!
Also: Die ganzen Prozessunterlagen werden noch einmal angeschaut.
Ich zitiere: „Gesetze werden für Freunde interpretiert und für Feinde angewendet.“
Außerdem zitiere ich Giovanni Falcone:
„Man kann die Mafia nicht bekämpfen, ohne den ganz legalen Weg zu verlassen.“
(Anmerkung der Redaktion: Giovanni Falcone , geb. 18. Mai 1939, in Palermo ermordet von Cosa Nostra am † 23. Mai 1992 ; war ein italienischer Jurist und international aktiv im Kampf gegen die Mafia Cosa Nostra.)
Fakt ist: Es gab über einen Zeitraum von 27 Jahren Diskriminierung, Mobbing, Verleumdung bis hin zum Rufmord. Der Rufmord wurde noch nicht bestätigt oder aufgehoben.
Andreas Werk: Alex, ich danke dir sehr für dieses Gespräch!